Hirn und Herz

Was gefällt dir an deinem Wohnort?


Seien wir offen: Nicht immer kann man sich seinen Wohnort aussuchen. Manchmal kommt man in den Ghettos von Manila zur Welt. Oder in Palästina. Oder in Burkina Faso. Oder auf einem Boot, das Burkina Faso verlassen hat – Richtung Deutschland. Oder sogar in Deutschland, am Rand einer Großstadt, ohne Perspektiven.
Manchmal ist man gezwungen, einen guten Ort gegen einen zu tauschen, der wirklich nichts bietet – weil man zum Beispiel nach den alternden Eltern schauen möchte.

Ich blicke schmal, wie ein Wolf im Schneesturm, und denke mir:
„Verdammt, der Gump, Forrest, hatte tatsächlich recht: Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man bekommt.“

Dann senke ich den Kopf. Aber gar nicht lange. Denn Selbstmitleid habe ich schon vor langer, langer Zeit abgelegt. Etwas Unnützeres kenne ich gar nicht.

Also nehme ich meinen VW Golf GTRTRTL mit seinen 3000 PS (herrlich, wie in solchen Momenten mein Hirn durchdreht) und fahre durch die Gegend.
Dörfchen, total isoliert, an Orten, bei denen man sich fragt:
„Wie konnten hier Menschen überleben? Das geht doch nicht!“

Und dann flasht (schon wieder) mein liebes Hirn zurück an meinen Wohnort und zieht automatisch einen Vergleich.

Und wieder klopft er an meine Tür, mischt sich ein, behauptet:
„Junge, sieh, wie gut du es hast: Dein Wohnort liegt in einer breiten Talschaft, die Sonne scheint genug am Tag, um braun zu werden, die Natur ist weitgehend erreichbar und intakt. Dein großes Haus gehört dir, und du hast einen VW Golf GTRTRTL mit 3000 PS, mit dem du durch die Straßen karacho’n kannst!“

Meine linke Augenbraue zieht sich nach oben, und die Kanten meiner Lippen gleich mit. Ich nicke.
Verdammt. Du hast recht!

„Das ist trotzdem nicht dein Wohnort, den du verlassen musstest,“ flüstert kurz mein Herz.

Verdammt.


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Autor: faszinationdeutsch

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